Die schleppende Entwicklung der elektronischen Todesbescheinigung in Deutschland

Geschrieben von Ulf Köther am
Redaktioneller Beitrag Lesedauer

Ende 2017 hat das Bundesministerium für Gesundheit ein Projekt zur Entwicklung und Beurteilung einer Grobkonzeption für eine bundeseinheitliche elektronische Todesbescheinigung in Auftrag gegeben. Die zentrale Fragestellung war und ist, ob eine digitale Form für eine Todesbescheinigung überhaupt notwendig und umsetzbar ist (1, 2).

Doch was ist daraus geworden?
Hintergrund

Aktuell scheint die richtige Erfassung von Todesursachen ein großes Problem zu sein, wie eine Studie der Universität Rostock aus dem Jahr 2017 zeigt. Inhalt dieser Studie war die Überprüfung der Qualität von 10.000 ausgefüllten Todesbescheinigungen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Ergebnisse aus dieser Studie sind nicht zufriedenstellend: In 98% der ausgefüllten Todesbescheinigungen wurden Fehler entdeckt und bei 28% sind sogar schwerwiegende Dokumentationsfehler festgestellt worden (3).

Wie kann es zu so einer so hohen Fehlerquote durch ausgebildete Ärzte und Ärztinnen kommen?

Jedes Bundesland hat auf Grundlage der landesgesetzlichen Vorgaben ein eigenes Formular, welches die Merkmale und Ursachen des jeweiligen Todesfalls feststellen soll. Demnach sind Erhebung der Todesursachen und die damit einhergehende Dokumentation zwischen den Bundesländern unterschiedlich. Dies stellt Ärzte und Ärztinnen vor das Problem, die Dokumente richtig auszufüllen (1, 2), vor allem vor dem Hintergrund, dass dies (hoffentlich!) keine Alltagstätigkeit bei jedem Arzt darstellt. Die Formulare scheinen entsprechend auch nicht selbsterklärend oder einfach zu sein.

Notwendigkeit der Vereinheitlichung

Eine Überarbeitung der bestehenden Todesbescheinigungen ist somit auch unabhängig von der Digitalisierung und auch unabhängig von einer anzustrebenden Vereinheitlichung auf Bundesebene notwendig. Schon im Jahr 2016 hat die WHO neue Standards für die Erfassung der Merkmale und Ursachen eines Todesfalls veröffentlicht. Diese wurden jedoch für die bundeslandspezifischen Formulare in Papierform in Deutschland nie vollumfänglich umgesetzt und verhindern die Vergleichbarkeit auf internationaler Ebene (1, 2).

Eine Änderung dieses Zustands hätte auch auf nationaler Ebene klare Vorteile. Die Todesursachenstatistik, die durch das statistische Bundesamt erstellt und veröffentlicht wird, basiert auf den Daten aus den von Ärzten und Ärztinnen ausgefüllten Todesbescheinigungen. Mit Hilfe von Todesursachenforschung können Zusammenhänge festgestellt und Veränderungen sowohl zeitlich als auch regional registriert werden, um die Handlungsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge zu verbessern. Mit Hilfe dieser Daten können Empfehlungen ausgesprochen werden, welche wiederum den Umgang mit akuten Problemen sowie die Umsetzung von präventiven Maßnahmen beeinflussen und so die Gesundheit der Bevölkerung schützen (7).

In Portugal wird die Todesbescheinigung in elektronischer Form bereits seit 2014 eingesetzt. Hierbei hat sich gezeigt, dass sich auf der einen Seite die organisatorischen Abläufe und auf der anderen Seite die Qualität der epidemiologischen Daten verbessert haben (5).

Die Umsetzung in Deutschland

Als erster Schritt für die Umsetzung in Deutschland wurde 2017 eine Ausarbeitung für ein grobes Konzept durch das Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegeben und durch das Statistische Bundesamt und das DIMDI (heute im BfArM aufgegangen) umgesetzt. In der Ausarbeitung zur „Grobkonzeption für eine bundeseinheitliche elektronische Todesbescheinigung“ sind die Verantwortlichen zu dem Schluss gekommen, dass an vielen Punkten Verbesserungspotential besteht. Dies soll mit der Einführung einer elektronischen Todesbescheinigung umgesetzt werden (1, 2).

Als Folge wurde ein Pilotprojekt geplant, welches die Grobkonzeption der Arbeit des statistischen Bundesamtes und des DIMDI umsetzen und testen soll. Diese Pilotierung wiederum wurde in 4 Arbeitspakete unterteilt und die Ergebnisse im März 2021 in einer Präsentation vorgestellt. Es wurde ein durch Experten erarbeiteter Formulardatensatz vorgestellt, welcher bereits auf einem virtuellen WHO-Meeting 10/2020 veröffentlicht und mit Ärztinnen und Ärzten evaluiert wurde. Im Anschluss wurde eine elektronische Fassung erarbeitet und durch leichenschauende Ärztinnen und Ärzte mit positivem Fazit getestet.

Der letzte Stand, welchen man im Internet findet, ist von der Firma INIT, welche im April 2022 durch die Bundesrepublik Deutschland damit beauftragt wurde, die elektronische Todesbescheinigung (eTB) digital und in einer Mobil-App umzusetzen und sie im Anschluss in drei Pilotregionen zu testen (6).

Was daraus geworden ist, ist bis zum heutigen Stand (21.02.2023) leider offen.

Abbildung 1 - Durch Experten erarbeiteter Formulardatensatz für die elektronische Todesbescheinigung in Deutschland. (Quelle: https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Kooperationen-und-Projekte/eTB-Pilotierung/_node.html)

Abbildung 1 - Durch Experten erarbeiteter Formulardatensatz für die elektronische Todesbescheinigung in Deutschland. (Quelle: https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Kooperationen-und-Projekte/eTB-Pilotierung/_node.html)

Fazit

An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass selbst ein klar umrissenes Projekt wie die elektronische Todesbescheinigung, was sich inhaltlich an klaren internationalen Standards orientieren kann und sollte, in Deutschland bei der bundesweiten Einführung zum Problemfall wird. Offensichtlich ist es in Deutschland mit viel Aufwand und Zeit verbunden, die digitale Todesbescheinigung inhaltlich zu definieren, umzusetzen und zu testen. Die Implementierung einer überfälligen digitalen Todesbescheinigung lässt nun seit mittlerweile sechs Jahren auf sich warten. Ein möglicher Zeitpunkt der Einführung ist aktuell nicht abzusehen, bzw. explizit durch das BfArM nicht vorgegeben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Projekt der digitalen Todesbescheinigung den allgemeinen Umgang mit der Digitalisierung im Gesundheitssektor in Deutschland widerspiegelt. Hier können wir nur (erneut) an die Verantwortlichen der Gesundheitspolitik appellieren, diese Vorgehensweise zu ändern.

Oder, um den hiesigen Zustand salopper zu beschreiben:

Der gesamte Planet hat sich im Rahmen der WHO vor über sechs Jahren auf einen Standard geeinigt. Danach muss Deutschland noch intensiv darüber nachdenken, das Rad neu erfinden und scheitert dann daran.

Quellen
  1. Bundesministerium für Gesundheit, Statistisches Bundesamt (StBA), Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DMIDI). Kurzbericht: Grobkonzeption einer bundeseinheitlichen elektronischen Todesbescheinigung. 31. März 2019. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publi.kationen/Gesundheit/Berichte/Kurzbericht_Projekt_eTB_Grobkonzeption.pdf (abgerufen am 08 Februar 2023)
  2. Bundesministerium für Gesundheit, Statistisches Bundesamt (StBA), Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DMIDI). Abschlussbericht zum Projekt „Grobkonzeption einer bundeseinheitlichen elektronischen Todesbescheinigung“ (eTB). 25. April 2019. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/
    Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_Projekt_eTB_Grobkonzeption.pdf (abgerufen am 08. Februar 2023)
  3. Zack, F., Kaden, A., Riepenhausen, S. et al. Fehler bei der Ausstellung der Todesbescheinigung. Rechtsmedizin 27, 516–527 (2017). https://doi.org/10.1007/s00194-017-0193-7
  4. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). „Pilotierung einer bundeseinheitlichen elektronischen Todesbescheinigung (eTB)“. März 2021. https://www.bfarm.de/SharedDocs
    /Downloads/DE/Kodiersysteme/eTB/projektvorstellung-eTB-DVMD.pdf?__blob=publication
    File (abgerufen am 08. Februar 2023)
  5. Pinto CS, Anderson RN, Martins H, et al. Mortality Information System in Portugal: transition to e-death certification. Eurohealth. 2016 ;22(2):1-53. PMID: 32336930; PMCID: PMC7181967.)
  6. INIT Individuelle Softwareentwicklung & Beratung GmbH. NIT entwickelt die elektronische Todesbescheinigung (eTB). 5. April 2022. https://init-software.de/news/init-entwickelt-die-elektronische-todesbescheinigung-etb/ (abgerufen am 21. Februar 2023)
  7. Statistisches Bundesamt. Qualitätsbericht – Todesursachenstatistik. 25.Juli 2022. https://www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Gesundheit/todesursachen.html (abgerufen am 08. Februar 2023)

Bildnachweis:

Abbildung 1 - https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Kooperationen-und-Projekte/eTB-Pilotierung/_node.html

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